Mimikry der Opferrolle – warum Projekte, die Ukrainer*innen und russ*innen als gleichermaßen Leidende zeigen, problematisch sind!

„Flucht“ ist eine Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen in Berlin. Sie zeigt Geflüchtete, die nach russlands Angriff auf die Ukraine ihre Heimat verlassen mussten. Es werden Ukrainer*innen und Russ*innen gezeigt. Das klingt zunächst empathisch – ist aber nicht wertneutral.
„Es geht um ukrainische Kriegsflüchtlinge und russische Emigrant*innen. Beide konnten nicht mehr in ihrer Heimat bleiben.“ „Wir wollten ihr Trauma mit Empathie zeigen und ihre Würde bewahren.“
Warum ist dieses Framing problematisch?
Ukrainer*innen und russ*innen als gleichermaßen Vertriebene darzustellen,
schafft eine falsche moralische Gleichsetzung zwischen realen Kriegsopfer und Menschen, die aus dem Land stammen, welches den Angriff gestartet hat. Es ersetzt Wahrheit durch Bequemlichkeit – und Gerechtigkeit durch Ästhetik.
Wovor Ukrainer*innen fliehen – und wovor russ*innen fliehen
Ein solches Framing verzerrt die Machtverhältnisse dieses Krieges.
Es suggeriert, all diese Menschen seien vor vergleichbaren Gefahren geflohen – doch das stimmt nicht.
Ukrainer*innen fliehen vor Invasion, Besatzung, Massenmorden und der Zerstörung des zivilen Lebens. russ*innen fliehen vor Einberufung, Sanktionen oder dem Unbehagen mit ihrem eigenen Regime.
„Empathie“ ohne Verantwortung ist Vermeidung
Wie eine Kuratorin sagte: „Es geht darum, das Trauma mit Empathie zu zeigen.“
Doch Empathie, die Verantwortung ausblendet, ist keine Empathie – sie ist Verdrängung.
Wenn Kunst Opfer und Bürger*innen des Aggressorstaat gleich behandelt, entpolitisiert sie Gewalt und fördert die Ästhetik des Unrechts.
„Russlands Opferdiskurs ist Teil des Verbrechens.“— Timothy Snyder
Viele russische „Geflüchtete“ haben den Krieg nie öffentlich verurteilt, um sich stets eine Rückkehr, auch in das Regime, offenzuhalten. Manche wiederholen außerdem weiter imperiale Narrative über die Nachbarstaaten. Sie als unschuldige Opfer darzustellen, verschleiert Mitverantwortung, nicht Widerstand. So wird russlands Rolle als Aggressor abgeschwächt – und ukrainische Forderungen nach Aufklärung und Gerechtigkeit untergraben.
Wenn „gemeinsames Leid“ Gerechtigkeit zum Schweigen bringt
Solche Projekte verwischen das ukrainische Leid.
Sie verwandeln eine brutale Invasion in eine vermeintlich gemeinsame humanitäre Tragödie.
„Alle Geflüchteten leiden“ klingt mitfühlend – doch in diesem Krieg ist es eine Form moralischer Blindheit. Es verwischt Verantwortung, setzt Schuld gleich und lässt die Grenze zwischen Täter und Opfer verschwimmen.
Wessen Geschichten stehen im Mittelpunkt?
russische Stimmen bleiben im Zentrum, ukrainische am Rand. Die alten Hierarchien bestehen fort – das ist keine Dekolonisierung.
Kunst ist niemals neutral
Schon gar nicht im Krieg. Die Entscheidung, Opfer und Täter zusammen darzustellen, ist kein Zeichen des Friedens – sondern ein Akt der Entpolitisierung. Sie stellt Bequemlichkeit über Gerechtigkeit, Versöhnung über Widerstand, und Schweigen über Wahrheit.
Echte Empathie beginnt mit Wahrheit
Wir rufen kulturelle Institutionen und Kurator*innen dazu auf:
— Ukrainische Stimmen und Handlungsmacht zu priorisieren
— russische Verantwortung zu benennen
— Das Framing einer „geteilten Tragödie“ zu vermeiden
— Die Asymmetrie – militärisch, politisch und moralisch – sichtbar zu machen
Denn Kunst hat Macht. Und Macht bedeutet Verantwortung.