Nachbericht #noNetrebko: Beleidigungen und zynische Flaggen

(с) Christopher Knickerbocker, Julia Sonata

Am Freitag, den 15. Juni, fand in der Berliner Staatsoper der erste Auftritt Netrebkos seit Beginn des von russland geführten großangelegten Krieges gegen die Ukraine statt. Trotz eines offenen Briefes von Bürgerinitiativen, der von über hundertfünfzig Historiker*innen, Expert*innen, Unterstützenden und Kulturschaffenden unterzeichnet wurde, und trotz der offenen Kritik des Berliner Senats an dieser Entscheidung hat Intendant Matthias Schulz beschlossen, den Auftritt von Anna Netrebko nicht abzusagen. Er begründete dies damit, dass er die Klarheit ihrer Position zum russischen Krieg gegen die Ukraine anerkennt.

Wir haben die Klarheit ihrer Position bereits in unserem offenen Brief in Frage gestellt und auf alle Argumente des Intendantes in privater Kommunikation geantwortet.

Am 15. Juni organisierte Vitsche zusammen mit INFRA und Chervona Kalyna eine Demonstration vor der Staatsoper Unter den Linden, um noch einmal zu betonen, wie kritisch derartige Aktionen der Oper sind und dass Vertreter*innen der russischen Kultur und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen.

Die Demonstration dauerte über vier Stunden. Zu Beginn versammelten sich mehr als 300 Menschen. Unter den Redner*innen befanden sich Vertreter*innen der ukrainischen Gemeinschaft, wie die Schriftstellerin Kseniya Fuchs, und deutsche Osteuropahistoriker*innen: Dr. Franziska Davies und Prof. Dr. Jan Claas Behrends.

Die Redner*innen wiesen unter anderem auf die inakzeptable Schönfärberei der Oper hin, die ukrainische Flaggen an ihrem Gebäude als Zeichen der Unterstützung für die Ukraine verwendet, gleichzeitig aber Personen mit Nähe zum Kreml auftreten lässt. Diese Diskrepanz zwischen den ukrainischen Flaggen und der tatsächlichen Position der Oper zeigte sich besonders deutlich im Verhalten der Besucher*innen an diesem Abend. Sie behandelten die Demonstrierenden mit Verachtung, und es gab mehr als 15 Fälle von offener Beleidigung gegen die Teilnehmenden des Protests. Die Opernbesucher*innen fühlten sich derart von dem Protest provoziert, dass uns mehrere Male Mittelfinger gezeigt wurden.

Dieses Verhalten des Macbeth-Publikums bestätigt nur die Haltung der Oper, russland und seine Propagandafiguren zu unterstützen, zeigt aber auch fehlende Solidarität und Unterstützung für den Existenzkampf der Ukraine. Wenn es für das Publikum akzeptabel ist, den öffentlichen Willen der Gemeinschaft zu beleidigen, dann wird die Frage, auf wessen Seite es steht und wie es eine “klare Positionierung” definiert, von Netrebko eindeutig beantwortet. Die Operndiva selbst bediente sich ähnlicher Methoden, um ihre Kritiker*innen bei ihren früheren Auftritten in Wiesbaden zu diskreditieren, als sie auf ihrem Instagram-Account ihre Verachtung für die ukrainischen Demonstrierenden zum Ausdruck brachte.

Leider konnten die Demonstration und unser offene Brief einem Teil der deutschen Gesellschaft nicht die Augen für die Gefahr, die Auftritte von umstrittenen Personen wie Anna Netrebko mit sich bringen, öffnen. Trotzdem hoffen wir, dass unsere Aktion und unser Beitrag zum Diskurs vielen Menschen verdeutlichen konnte, warum man Kunst nicht unabhängig von Politik betrachten kann und dass Menschen des öffentlichen Lebens Verantwortung für ihre Fehler übernehmen müssen.